Family first
Fühlst Du Dich unersetzlich in Deinem Job? Wie schnell würdest Du Deiner*m Partner*in, engsten Freunden und / oder der Familie den Vorzug geben, wenn sie Dich brauchen?
Meine Erfahrung im Bekannten- und Freundeskreis, besonders bei Manager*innen und ganz besonders bei Manager*innen aus dem mittleren Management sowie Männern, ist: sie fühlen sich im Job oftmals unersetzlich. Sie stellen berufliche Verpflichtungen und Aufgaben vor private. Leider gibt es sogar immer noch Arbeitgeber, die das von ihren Angestellten erwarten. Dabei betonen sie im Gespräch schon gerne mal wie wichtig ihnen Familie doch sei. Wenn sie vor der Entscheidung stehen, dann geht oftmals der Beruf vor.
Ich empfinde das als sehr bedauerlich, und möchte Euch erzählen, warum bei mir auch als Führungskraft Family first gilt, wo ich Grenzen sehe und warum das auch bei mir nicht immer so war.
Zum Hintergrund ein spannender Fakt. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa unter berufstätigen Kinderlosen im Alter von 29 bis 40 Jahren, die sich vorstellen können, eine Familie zu gründen, gaben an: Gerade in den ersten Lebensjahren eines Kindes würden sowohl Frauen als auch Männer mehrheitlich lieber weniger arbeiten, um Zeit für die Betreuung zu haben, berichtet die F.A.Z, der diese Studienergebnisse exklusiv vorliegen.
Kultur und Rollenmuster spielen eine entscheidende Rolle
Woran liegt es dann, dass wir uns in der Realität oder dem entscheidenden Moment doch anders entscheiden oder zumindest schwertun?
Aus meinen eigenen Erfahrungen liegt das u.a. daran:
- Wenn die Unternehmenskultur oder die eigenen Kunden nicht ernsthaft auf Vereinbarkeit von Familie und Beruf eingestellt sind, fällt es schwer(er), sich eine Ausnahme herauszunehmen
- Viele Männer verharren immer noch in tradierten Rollenmustern. Sie erwarten von ihrer Partnerin, sich z.B. um Kinder oder Pflegebedürftige zu kümmern. Ja, auch heute noch. Umgekehrt gibt es nach wie vor Frauen, die ihre Rolle in der Fürsorgerin Nummer eins selbst sehen. Dann ist das auch so in Ordnung, sonst nicht.
- Bei Unternehmensgründung, im neuen Job oder auf der aktiven Karriereleiter empfinden Menschen familiäre Prioritäten als Symbol von Schwäche bzw. Nachteil im Beruf – v.a. wenn Kollegen*innen gerade keine privaten Verpflichtungen hat und ggfs. zur Konkurrenz werden. Achtung #führung #kultur #vertrauen
- Manager*innen im mittleren Management stecken in einer Sandwich-Rolle. Ihren Vorgesetzten möchten sie ihre Loyalität und maximalen Einsatz demonstrieren, ihren Teams gegenüber versuchen sie ein fragwürdiges Vorbild zu sein für Job first
- Und dann wären da noch die Vorgesetzten, die durch ihr Verhalten bewusst oder unbewusst eine Erreichbarkeit rund um die Uhr signalisieren.
Erkennt ihr Euch in einem der Szenarien wieder?
Aus heutiger Sicht fehlte mir der Blick von 20 Jahren später
Ich selbst habe – gerade kurz nach einem Jobwechsel oder bei besonders wichtigen Projekten - auch hin und wieder geschwankt. Ganz besonders, bevor ich Mama war. Wenn der Job gerufen hat, ging er häufig vor, weil ich mich stark mit meiner Arbeit identifiziert habe und als Intrapreneur was bewegen wollte. Da waren die Prioritäten für mich klar. Aus heutiger Sicht fehlte mir der Blick von 20 Jahren später. Eine Ausnahme gab es: Sport – der konnte mich schon mal locken und zeitgleich für mehr Balance zu sorgen.
Die Realität ist nicht immer wie gedacht
Der Blick in die Zukunft mit Kindern war bei mir und bei meinem Mann klar – Familie geht vor. Doch auch hier hat uns die Realität dann erst mal schwimmen lernen lassen. Eines meiner Lieblingsmottos „Es ist alles eine Frage des Wollens und der Organisation“ kam mit Kindern voll zum Tragen und das brauchte eine Zeit des Einpendelns. Heute kommt es stark auf das Umfeld an, wie gut eine Entscheidung für familiy first angenommen wird – OHNE Nachteile daraus zu erfahren.
Dabei liegen die Gründe für family first aus meiner heutigen Sicht auf der Hand:
- Familie und Freunde sind im Normalfall Dein sicherstes soziales Netz, egal was kommt – Grund genug, hier eine klare Priorität zu setzen
- Familie ist das Erste, das wir im Leben haben und uns normalerweise bis ins Erwachsenenalter oder durchs ganze Leben trägt. Daher nochmal: klare Prio.
- Denken wir an Werte, die uns beruflich immer wichtiger werden, dann sollten wir diese als erstes bei uns privat umsetzen und dazu gehört family first
- Sind wir als Manager*in ein modernes und nahbares Vorbild, wenn wir Beruf vor Familie stellen? Nach meiner Vorstellung nicht, daher lebe ich family first auch in meinen Teams vor
- Im Angestelltenverhältnis kann das Klima noch so fantastisch sein, wenn eine Krise, eine Re-Organisation oder ähnliches anstehen, wird Dich am Ende keiner Fragen, ob Du doch noch bleiben möchtest, das sollte man trotz aller Loyalität nicht ganz vergessen
- Insbesondere mit Kindern stimmt eines sicher – gewisse Zeiten und Momente kommen nicht zurück und manch Verhalten lässt sich auch nicht vergessen, geschweige denn kitten.
Work-Life-Blending hat auch Grenzen
Fragst Du Dich immer noch, ob es nicht Ausnahmen gibt, in denen Job first Sinn ergibt?
Tatsächlich gibt es Grenzen. Job first, family next ist für mich total okay,
- wenn es in der Arbeit brennt und Familie z.B. bis abends, gut versorgt warten kann
- wenn familiärer Bedarf durch eine Person abgedeckt werden kann, denn es muss nicht immer die ganze Familienbande ran
- im normalen Alltag sowieso, denn auch im flexiblen Arbeitsumfeld gibt es klare Verpflichtungen im Beruf wie zu anderen Zeiten für die Familie
Grenzen, bei denen Familie immer vorgeht sind für mich ebenso eindeutig:
- Notsituationen wie Unfälle oder Krankheit von Familienmitgliedern. Eine Aufteilung von Fürsorge untereinander sollte dann nach eigenem Ermessen möglich sein
- Trauerfälle im Familienkreis
- Urlaube und Familienfeste sind per Definition für die Familie und eigene Erholung vorbestimmt – hier sollten Arbeitsaufträge die Ausnahme und freiwillig sein
Mit diesem Bewusstsein kommen wir dem Work-Life-Blending – der Vermischung von Arbeit und Privatleben – immer näher und fühlen uns dabei gut statt zerrissen oder gar schlecht. Wir können das schlechte Gewissen wegen was auch immer wegpacken. Liebevolle Partnerschaft, steile Karriere, Zeit für Hobbies UND glücklich Kinder geht. Wenn man es will. Unternehmen, die hierfür keinen Platz haben, sind für mich zumindest keine Future Player oder potentiellen Arbeitgeber
Auch nicht zu verachten ist ein weiteres Thema, das manch eine*n vor ähnliche Entscheidungen stellt:
Karriere vor Liebe
Spannend, dass das Thema Job first auch in Partnerschaften immer wieder zuschlägt, wie der Spiegel berichtete.
28-45% aller Befragten des Datingportals ElitePartner sagten 2020, dass sie ihre Partnerschaft hinter dem Job anstellen würden. Das Risiko erhöhe sich, wenn man sich für eine Fernbeziehung entscheide, bestätigt eine Forschungsstudie von Springer.
Nun, das ist dann allerdings wieder ein Thema für sich. Das Prinzip ist allerdings ähnlich – denn vielleicht begegne ich meiner wahren Liebe nur einmal im Leben und will ich die wegen meiner Karriere verpassen?
Spannende Links zu dem Thema family first
- Link zum Vereinbarkeitsmanager*in https://smartworq.de/
- Lernplattform mit spannenden Artikeln, wie „Job und Familie ohne schlechtes Gewissen“
- Buch-Tipp: Nina Straßner´s “Keine Kinder sind auch keine Lösung“
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