Interview: Lass es uns mal schwedisch angehen!
Nicole Jacobbson sprüht nicht nur vor Charme und ihrer Passion für Diversitäts- und Personalberatung. Sie ist auch erfolgreiche Top-Managerin, Mutter von zwei Kindern und Ehefrau eines schwedischen Mannes. Und sie hat den Schweden so einiges an Mindset abgeschaut. Im ManagerMama-Interview habe ich mit ihr mal intensiv hinter die Kulissen der nordischen Nachbarn geblickt.
1. Liebe Nicole, als Juristin gestartet bist Du heute erfolgreiche Unternehmerin in einem anderen Bereich. Erzähl uns doch mal von Dir.
Ja, gerne und danke für die Einladung zum Interview, Andrea.
Tatsächlich komme ich aus der knallharten Ecke der Juristen, in der ich v.a. als Arbeitgeber-Vertreterin gestartet bin.
Ich habe in Deutschland, der Schweiz, in Österreich und viele Jahre in Schweden gearbeitet und Diversität in sehr vielen Facetten erfahren. International habe ich aber auch kennengelernt, dass es unterschiedliche Blickwinkel auf das Thema Frau, Mutter, Familie, Work-Life-Balance geben kann.
Heute habe ich 20 Jahre Erfahrung im HR-Umfeld und hatte dabei das Glück, dass ich sehr international arbeiten durfte, in verschiedenen großen Konzernen, wie z.B. General Motors, in unterschiedlichen Rollen und Ländern. Dabei ging es mir immer darum, die Organisation weiterzubringen.
So kam ich auch zu meiner heutigen Aufgabe. Ich habe seit 3,5 Jahren mein eigenes Beratungsunternehmen. Es ist eine Mischung aus Diversitätsberatung, Strategie- und Personalberatung. Im Kern geht es immer um Frauen in Führung, Frauen dazu zu befähigen, Führungskarrieren wahrzunehmen. Gleichzeitig arbeite ich mit Unternehmen mit dem Ziel, sie strategisch voranzubringen, Frauen zu befähigen und darin nachhaltig erfolgreich zu sein.
Meine Familie: ich bin mit einem schwedischen Mann verheiratet. Wir haben gemeinsam viele Jahre in Schweden gelebt bevor ich vor 10 Jahren zurück nach Deutschland gezogen bin. Unser Sohn ist nun 15 Jahre und unsere Tochter 13 Jahre alt, beide sind in Schweden geboren.
Kleine Anekdote:
Kurz vor der Geburt unseres zweiten Kindes war ich im 6. Monat schwanger mit dickem Bauch in einem Vorstellungsgespräch und habe eine Vorstandsrolle bekommen. Von beiden Seiten gab es hier ein ganz starkes Commitment. Das ist sicherlich auch in Schweden nicht ganz alltäglich, aber ein anderes Mindset als in Deutschland ist es allemal. Mein Mann hat sodann die Elternzeit übernommen – aus einer sehr verantwortungsvollen Managerrolle heraus. Mit dem ersten Lebensjahr sind beide Kinder dann in eine Vollzeit-Kinderbetreuung, was in Schweden nicht ungewöhnlich ist.
Wie bringt ihr Eure Familie in Einklang, so dass es sich gut anfühlt?
Es hat sich nie schlecht angefühlt, so viel vorweg. Tatsächlich habe ich aber auch erst später in Deutschland viel reflektiert und festgestellt, dass hier Dinge anders gesehen werden als in Schweden.
Etwas ungewöhnlich war, dass wir beide sehr verantwortungsvolle Rollen hatten. Heißt, unsere Kinder waren fast immer die letzten, die im Kindergarten abgeholt wurden. Haben sie uns das mal vorgehalten? Nein. Es war nie ein großes Thema, weil die Betreuung darauf ausgerichtet war und es den Kindern sehr gut ging.
Was anders war als bei anderen, unser Arbeitstag war dann noch nicht zu Ende. Wir haben remote, flexibles und hybrides Arbeiten schon damals intensiv gelebt. Die Organisation ging dabei Hand in Hand: die Selbstverständlichkeit zwischen Vater und Mutter, zwischen Mann und Frau, die absolute gleichberechtigte Verantwortung, dass es Arbeit und Familie gibt und beides gemanagt werden muss. Mit diesem Grundverständnis mussten wir niemals genau festlegen, wer was macht außer wer die Kinder abholt. Es gab keine klaren Rollenzuweisungen. Am Ende zählte nur das Ergebnis.
Viele Frauen stecken zurück, wenn die Kinder kommen. Was hat Dich als Top Managerin motiviert, aktiv zu bleiben, auch als die Kinder noch ganz klein waren?
Mein Antrieb war tatsächlich finanzielle Unabhängigkeit. Das hat mir meine Mutter, die geschieden und alleinerziehend war und es finanziell nicht leicht hatte, schon früh mitgegeben. Dabei war für es mich alternativlos und ein absolutes Selbstverständnis, mit meinem Partner auf Augenhöhe zu sein.
Für mich stellte sich daher nie die Frage, ob ich nach wenigen Wochen wieder starte. Doch jeder muss diese Entscheidung für sich treffen. Es liegt an uns, dass wir entscheiden welche Verantwortung wir in welcher Form übernehmen wollen. Dann kommt der Partner, der dazu passt und dann kommt der Arbeitgeber noch dazu. Ich bin allerdings auch überzeugt, dass man je nach Typ Frau die Art von Mann anzieht, der hierfür der richtige sein kann.
WIR MÜSSEN DIE VERANTWORTUNG SELBST ÜBERNEHMEN
Was macht für Dich in Deutschland den größten Unterschied in der Doppelrolle als Managerin und Mama im Vergleich zu Schweden?
Der größte Unterschied zwischen den beiden Ländern ist die Erwartungshaltung. Wir denken immer noch in sehr tradierten Rollen, was ganz viel mit uns – v.a. als Frauen – macht.
Als wir nach Deutschland zurückkamen, war mein Großer gerade fünf Jahre alt. Die Phase in der man Kita-Freundschaften und Co. aufbaut. Ich war schwer beeindruckt über die Agenda, die sich Mütter hier selbst aufstellen. Die Ansprüche von selbst gebackenen Kuchen über Partys und so weiter. Ich fragte mich, ob ich eine schlechte Mutter sei. Wir hatten keine Oma und keinen Opa in der Nähe, aber wir hatten ein Au Pair – meine Kinder wurden meistens vom Au Pair gebracht und geholt und schon alleine deswegen war ich hier eine persona non grata bzw. diese Unmutter. (vor 10 Jahren! – das ist heute schon wieder etwas anders). Ohne die schwedische Erfahrung hätte ich das nicht so leicht ausgehalten. So war mir klar, ich bin keine schlechte Mutter, meine Kinder sind nicht unglücklich, das ist okay so. Es ist einfach ein anderes Lebensmodell.
Was vermisst Du in Deutschland im Vergleich zu Schweden?
- Offenheit
- Akzeptanz unterschiedlicher Lebensmodelle oder Modelle zw. Mann und Frau
- Gesellschaftliche Anerkennung, dass Väter eine absolut gleichberechtigte Rolle spielen. Viele v.a. junge Väter wollen das und teilweise fehlt es einfach an Ideenreichtum dazu
Haben eher die Männer in Schweden ein anders Mindset oder auch die Unternehmen?
Es wird immer gesagt, dass wir hier nicht die Rahmenbedingungen haben wie in Schweden. Ja, das Elternzeit-Gesetz ist in Schweden noch etwas weiterentwickelt als in Deutschland. Allerdings haben wir Deutschen das wiederum zu 80% abgeschaut.
Ich bin überzeugt, es hat insbesondere etwas mit Mindset und dem Rollenverständnis zu tun. Unternehmen können hier eklatant etwas ändern und diese „neue“ Einstellung sogar fördern. Dazu braucht es per se keine Gesetzesänderungen.
Elternzeit wird in Schweden beispielsweise über die Krankenkassen geplant. Da kannst Du online innerhalb von acht Jahren sogar stundenweise planen. Das meine ich mit der Weiterentwicklung.
Der Erfolg Schwedens oder der Unterschied zwischen den beiden Ländern ist daher eher eine gesellschaftliche Frage in Sachen Mindset und Rollenverständnis – denn das muss einfach dem Lebensmodell dienen. Außerdem setzt es natürlich voraus, dass Work und Life zusammengehören. Eine Frage der Perspektive also.
Modelle dürfen dabei nicht statisch sein, sondern sollten sehr individuell sein. Entsprechend der Lebensphasen und individuellen Voraussetzungen, geschlechtsunabhängig.
Die Schweden hängen nicht an diesen Rollen wie wir hier in Deutschland.
Wie ist es in Schweden mit dem Thema Teilzeit als Führungskräfte?
Das ist einfach kein diskutiertes Thema, es wird einfach gemacht. Generell ist Teilzeit seltener ein Thema als in Deutschland. Es ist aber egal, ob Mann oder Frau sich ggfs. dafür entscheiden. Kindergarten bis 17 Uhr ist beispielsweise ziemlich normal in Schweden.
Kleine Anekdote:
Als ich nach Schweden kam, war ich noch stark in der Verhandlungsecke im Arbeitsrecht verankert. Damals habe ich mir das schwedische Betriebsverfassungsgesetz angeschaut (das ist ca. 1/10 vom deutschen) – da wurde nur geregelt, dass es ein Grundverständnis gibt, dass die Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Seite in Konsens das richtige Ergebnis finden und danach streben wir. Ich fragte was heißt das jetzt? Du musst verhandeln, aber am Ende darfst Du bestimmen. Das fand ich super! Doch das Grundverständnis der Schweden zur betrieblichen Mitbestimmung habe ich damit völlig unterlaufen, weil sie das richtig ernst nehmen mit dem Konsens.
Das lässt sich auch auf die Rollen von Mann und Frau und ggfs. auf die Teilzeit-Frage übertragen – in Schweden würde man Dich anschauen und fragen: warum denn nicht, wenn sich alle einig sind?
Hier spielen einfach Mindset und Offenheit eine viel wichtigere Rolle als irgendwelche Regularien.
Was empfiehlst Du Frauen, die nach der Geburt ihrer Kinder wieder in den Job einsteigen wollen?
Schaut über den Tellerrand hinaus. Probiert was aus, seid offen, traut Euch, Dinge einzufordern und sucht die Diskussion. Am Ende kommt es darauf an, kann ich leisten, will ich leisten. Denn wenn ich als Frau im Unternehmen am Ende einen Fußabdruck hinterlassen will, wenn ich genauso wie ein Mann wertgeschätzt werden will (in der Arbeitswelt), dann muss ich dafür eben auch leisten. Dann kann ich nicht sagen „uiuiui jetzt hat mein Kind einen Husten…“.
Der Austausch mit anderen hilft dabei ganz stark, denn es geht u.a. um Perspektivenerweiterung. Und wirklich bei sich selbst anfangen, zu wissen, was will ich.
… und welchen Tipp hast Du für Unternehmen?
Mir fehlt etwas die unternehmerische Weitsicht. Jede Talent Management Strategie sollte das Thema zwingend beinhalten, denn sonst läuft man ganz große Gefahr, die Leute, die es braucht, um erfolgreich zu sein, nicht mehr zu finden oder auch zu halten.
Aktuell ist das Thema Mütter & Karriere immer noch oft nur nice to have. Dabei gehört es zu einem guten strategischen Talent Management.
Wie bleibt ihr als Familie in Balance?
Der Tag hat nur 24 Stunden und ehrlich gesagt, gibt es hier auch Grenzen. Die Zeit, die wir allerdings hatten, haben wir sehr qualitativ ausgestaltet und Sport haben wir immer beibehalten, um einfach auch physisch fit zu bleiben.
Soziales Leben und diverse Engagements waren bei uns sicherlich nicht sehr ausgeprägt, denn irgendwo muss man in der Situation dann auch Abstriche machen. Es waren dann beispielsweise keine 30-40 Freunde mehr, sondern ein paar enge. Das war unsere Priorisierung.
Die Anzahl an Stunden mit unseren Kindern war sicherlich weniger als im deutschen Durchschnitt, aber die Qualität war uns sehr wichtig.
Wir haben alle vier eine sehr enge Beziehung. Unsere Devise war immer, es kommt nicht auf die Masse an, sondern auf die Qualität. Z.B. haben wir im Urlaub nie gestritten, was bei vielen andersherum der Fall ist – und das ist für mich ein starker Indikator.
Was würden Dir Deine Kinder mal abschauen wollen?
Mit offenem Herzen und offenen Augen durch die Welt gehen – offen und neugierig für neues Denken und neue Lösungen. Breit Denken statt in Schubladen. Denn das werden wir in Zukunft brauchen, um ein glückliches Leben zu führen.
Vielen Dank für Deine Zeit und das tolle Interview, liebe Nicole. Jetzt finde ich erst recht, es ist Zeit zu sagen: goodbye Rollen der Vergangenheit.
LinkedIn https://www.linkedin.com/in/nicolejacobsson/
Unternehmenshomepage: https://jacobsson-international.com/
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